Mein erster eigener Trend

Endlich! Ich freue mich so! Fast 30 Jahre hat es gedauert, jetzt ist es so weit. Ich bin Trendsetterin! So nannte man uns Influencer damals, in grauer Vorzeit, als ich mir die Sache in den Kopf gesetzt habe. Auf den Kopf, genauer gesagt.

Seit ich 17 Jahre alt bin, trage ich hartnäckig die gleiche Frisur. Okay, zugegeben, noch bevor ich beschlossen habe, Influencerin zu werden, hatte ich beschlossen, mir die Haare selbst zu schneiden um das Frisörgeld für wichtigere Dinge aufzusparen. Zigaretten zum Beispiel. Steinigen Sie mich nicht, es waren die 90er-Jahre.

Jedenfalls entwickelte ich einen Haarschnitt, für den man keinerlei Talent und nur zwei Werkzeuge benötigt: einen kleinen Wandspiegel und eine handelsübliche Haushaltsschere.

Das Ergebnis war anfangs nur mittelschön, was aber rein optisch betrachtet mein geringstes Problem war. Meinen formlosen Körper hüllte ich zu dieser Zeit in unförmige Hemden aus dem Fundus meines Großvaters, mein elegantester Schuh war ein Doc Martens in Weinrot und Hosen mussten grundsätzlich sackartig sitzen.

Man wollte ja schließlich keine dümmliche Tussi sein, die nur auf ihr Äußeres bedacht war. Statt mit Bürste und Schminkutensilien war der Schulrucksack gefüllt mit Hesse und Brecht und im Discman liefen Alice in Chains, Melvins und Nick Cave and the Bad Seeds in Dauerschleife.

Der Haarschnitt war zwar dilettantisch ausgeführt, die Haare dafür kunstvoll karottenrot, petrolgrün oder blauschwarz gefärbt. Eigenhändig natürlich und ungleichmäßig, weil eilig. Es gab schließlich Wichtigeres zu tun. In der Raucherecke geselcht werden zum Beispiel. Parfum benötigte ich keines, der Duft zum Look ergab sich dort von selbst.

Meine ursprünglich aus finanzieller Not entstandene Frisur habe ich im Laufe der Jahre in nahezu jeder österreichischen Provinz vorgeführt und war in ganz Europa mit ihr auf Tournee. Sogar ans andere Ende der Welt bin ich gereist, um sie zu präsentieren. Diese Frisur hat richtig viele Kilometer auf dem Tacho.

Heute schlage ich eine Zeitschrift auf und falle fast vom Stuhl. Da ist sie! Da ist MEINE Frisur! Die Trendfrisur 2025, steht da.

Nun habe ich also endlich den Durchbruch geschafft. Einen Wermutstropfen gibt es aber. „Blunt Bob“ hat man sie getauft. Ich heiße nicht Blunt. Bob auch nicht.

Blunt Bob
Der „Coco Flanell“ ist die Trendfrisur 2025. Unglücklicherweise grassiert dafür der irrtümlich gewählte Name „Blunt Bob“.

Mir war immer klar, dass für diese Leistung keine Straße nach mir benannt werden würde. Ein Platz schon gar nicht. Aber MEINE Frisur hätte bitteschön schon MEINEN Namen tragen können. Wozu reiße ich mir seit Jahrzehnten den Arsch für sie auf?

Was ich für Opfer gebracht habe! Nie einen Trend mitgemacht, nie mit der Zeit gegangen, nie etwas Extravagantes gewagt. Immer der gleiche fade Topfschnitt, jahraus, jahrein.

Was soll’s, geschehen ist geschehen, Blunt Bob also. Ich kann sie schon hören, die modebewussten Damen im örtlichen Frisiersalon: „Einen Blunt Bob, bitte!“ Blunt mit U.

Service

Weil ich ein großzügiger Mensch bin, verrate ich Ihnen meine geheime Schnitttechnik. Die geht so:

Besorgen Sie sich einen Kamm und eine Schere. Stellen Sie sich vor den Spiegel und ziehen Sie einen akkuraten Scheitel. Links, rechts, Mitte … egal. Setzen Sie die Schere auf Kinnhöhe an und schneiden eine möglichst gerade Linie von vorne nach hinten. Bei der Mitte des Hinterkopfs hören Sie auf. Das ist ungefähr dort, wo ein Weiterschneiden zur akrobatischen Herausforderung würde. Wiederholen Sie den Vorgang auf der anderen Seite. Tada, fertig!

Sie haben soeben irgendwas zwischen 50 und 150 Euro – je nach Region – gespart für DIE Trendfrisur 2025. Bitte, gern geschehen!

Sollten Sie mit Locken gesegnet sein, rate ich jedoch unbedingt zur Konsultation einer Fachkraft! Ich habe meine Schnitttechnik an einer gelockten Freundin getestet. Glauben Sie mir, so möchten Sie nicht aussehen!

Entschuldigung, M.! Du hast es mir nie geglaubt, aber ich habe dich damals wirklich nicht absichtlich verunstaltet, um dir den F. auszuspannen.

Was denken Sie, wer macht nächstes Jahr das Rennen um die Trendfrisur des Jahres? Der Long Bob, der Short Bob, der Micro Bob, der French Bob, der Angled Bob, der Shaggy Bob oder gar der Butterfly Bob? Ich prophezeie ein spannendes Kopf-an-Kopf-Rennen.