Ich habe ungewöhnlich früh damit begonnen, mich zur Gruppe der Mittvierziger zu zählen. Jetzt bin ich auch offizielles Mitglied. Ich bin 45. An dieser Stelle ein Hoch auf mich!
Ansehen tut man mir mein Alter ja überhaupt nicht. Ich sehe keinen Tag älter aus als 44, das sagen alle. Auch körperlich ist alles tipptopp bei mir. Ich bin fit wie ein Turnschuh. Nämlich wie mein eigener Turnschuh. Der ist Baujahr 2000 und steht da wie neu. Unser Geheimnis: gnadenlose Schonung. Wir sind ein super Paar, der Turnschuh und ich. Er lässt mich in Ruhe und ich ihn. Diese Ehe wird ewig halten.
Ich war bereits stille Teilhaberin diverser Fitnessstudios (Althochdeutsch für Gym), was mich aber weder muskulöser noch reicher gemacht hat. Falls das auch Ihr Plan war: Eine Mitgliedschaft abzuschließen und gelegentlich an der Smoothie-Bar schmähzuführen, reicht leider nicht. Auch nicht, wenn Sie dabei Leggings und einen Sport-BH tragen. Daher habe ich beschlossen, mein Geld anders zu investieren.
Wer sich da sofort aufgedrängt hat, war die Anti-Aging-Industrie. Während ich selbst eigentlich ganz zufrieden mit mir bin, haben ganze Heerscharen wildfremder Menschen haufenweise Probleme mit meinem alternden Körper.
An allem haben sie etwas auszusetzen:
Das Gesicht ist nicht straff genug, dieses Schicksal teilt es mit dem Hintern, dem Bauch fehlt das Six-Pack, die Lippen sind zu schmal, die Nase zu breit, den Brüsten möchte man zurufen „Hängt sie höher!“, Wimpern sind grundsätzlich erst lang genug, wenn sie sich in den Augenbrauen verheddern und zahnfarbene Zähne sind auch out, die müssen so weiß sein, dass sie im Dunklen leuchten.
Dass Sie sich so überhaupt noch auf die Straße trauen, Coco Flanell, Sie alte Schabracke, ist eine Zumutung für Ihre Mitmenschen!
Das Geld, das ich nun nicht mehr in Fitnessstudios investiere, soll ich also gefälligst zum Schönheitschirurgen tragen. Einmal das große Service, bitte!

Na gut, ein bisschen Renovierungsbedarf hier und da lasse ich mir einreden, aber als Großbaustelle würde ich mich nun wirklich nicht betrachten.
Ich hatte mich schließlich für die Light-Variante entschieden. Nachdem ich schon bei der Zeckenimpfung in Ohnmacht falle, scheiden Botox-Injektionen und andere Foltermethoden, bei denen Nadeln involviert sind, aus. Mein Geld floss also in die Kosmetikindustrie.
Sie glauben ja nicht, was es da für tolle Sachen gibt! Wenn ich nur ein bisschen mehr Durchhaltevermögen hätte, würde ich einmal mit dem Gesicht einer Zwanzigjährigen ins Grab steigen. Na, wenn das mal kein Lebensziel ist!
Bis dahin würde ich auch ungefähr so viel Lebenserfahrung sammeln wie eine Zwanzigjährige, ich würde nämlich aus dem Badezimmer nicht mehr herauskommen.
Nach dem Waschen mit zwei verschiedenen Reinigern, dem Auftragen von vier Gesichtswässern, acht Seren, drei Lotions, zwei Cremes und des Sonnenschutzes – man nennt das Morgen-Routine – ist eine Stunde vergangen und ich stehe immer noch unfrisiert und im Bademantel da.
Wer hätte gedacht, dass man zum Waschen und Eincremen einmal eine Anleitung brauchen würde? Mindestens Format A4! Ich sehe es positiv, durch diese Erfahrung werde ich langsam an die Demenz herangeführt. Der Umstieg von angeleitetem Waschen auf gewaschen werden wird mir – im Gegensatz zu weniger gepflegten Altersgenossen – einmal nicht besonders schwer fallen.
Nun folgt das Auflegen von Concealer, Make-up, Rouge, Highlighter, Puder, Bronzer, Wimperntusche, Eyeliner und Lippenstift. Das ist die Basis-Variante, besonders Kreativen sind keine Grenzen gesetzt. Wenn Sie künstlerisch begabt sind, sehen Sie danach aus wie ungeschminkt, aber fünf Jahre frischer.
Andernfalls haben Sie nach der Prozedur wunderbar betonte Falten, ihr müder Blick ist nicht munterer, dafür kunstvoll gerahmt und das Gesamtwerk erinnert stark an Pierrot, den traurigen Clown.
Wieder ist eine Stunde vergangen. Ich bin immer noch unfrisiert und im Bademantel. Und Pierrot.

Nach einer überschlagsmäßigen Berechnung, wie viel Lebenszeit mich dieser Zirkus kosten wird, kehre ich reumütig zurück zu Dr. Bronner´s 18(!!)-in-1 Seife, Duftrichtung Pfefferminze.
Die kann ich laut Dr. Bronner nicht nur als Seife für Hände, Körper und Gesicht benutzen, sondern auch als Haarshampoo, Zahnpasta und Mundwasser, zum Wäschewaschen und Putzen, als Fußpflegebad und Obstreiniger (nicht gleichzeitig!), zum Inhalieren, als Pflanzenschutz, Entspannungsbad, Rasiergel und sogar als Pinselreiniger.
MacGyver kann sein Schweizermesser wieder einpacken, hier kommt Dr. Bronner!
Mein Wunsch zum 45. Geburtstag richtet sich an die Anti-Aging-Industrie:
Bitte gehen Sie doch jemand anderem mit Ihren Anregungen zur Selbstoptimierung auf die Nerven, ich bin mit meinem suboptimalen Dasein vollkommen zufrieden. Ich werde älter – das ist keine Krankheit und muss nicht behandelt werden.
Foto Pierrot: (c) iStock, Ababsolutum