Ich habe heute ein Paket bekommen. Seit dem Flirt mit dem Boten war noch keine Minute vergangen, da hatte ich auch schon eine Nachricht von ihm im Postfach. Der Herr hat´s wirklich drauf!
„Bitte bewerten Sie meine Leistung!“ hat er mir geschrieben. Nun ja, das ist enttäuschend, an der schriftlichen Flirt-Kompetenz muss er noch arbeiten, finde ich. „Nicht einmal der ausgeleierte Jogginganzug vermag es, Ihren Hammer-Body zu entstellen“ hätte er schreiben können. Oder: „Sie sollten öfter Badeschlapfen tragen, High Heels hat eine Vollblutfrau wie Sie gar nicht nötig.“
Nein, stattdessen will er schon bewertet werden, noch ehe frau sich sicher ist, ob die Leistung bereits vollständig erbracht wurde. Typisch Mann!
Überhaupt ist der Wunsch nach Bewertung in den letzten Jahren für meinen Geschmack etwas aus dem Ruder gelaufen. Ich kaufe Äpfel – „Wie war Ihr Einkaufserlebnis?“. Ich habe gerade meinen Kaffee bezahlt – „Bitte lassen Sie uns doch eine Bewertung da!“.

Ich verlasse die Flughafen-Toilette und soll eine Wertung abgeben: trauriger Smiley, gleichgültiger Smiley, glücklicher Smiley? Ich bin nicht sicher, was genau ich hier bewerten soll. Ein Stimmungsbarometer an diesem Ort ist jedenfalls unangebracht, lieber Flughafen Wien. Mit der Toilette verhält es sich ähnlich wie mit Las Vegas: Was in der Toilette geschieht, bleibt in der Toilette.
Sogar das Parkhaus möchte bewertet werden. Das Parkhaus! Sehen Sie sich die Aufzeichnung Ihrer Überwachungskamera an, da haben Sie Ihre Bewertung! Ich musste mein Auto durch den Kofferraum verlassen, weil Sie drei Parkplätze an vier Kunden verkauft haben. Zum Glück war ich in einem früheren Leben Schlangenfrau im Zirkus und konnte die Herausforderung daher unheimlich elegant meistern. Trotzdem fühle ich mich entwürdigt.
Was kommt als nächstes? Der Rauchfangkehrer? „Noch nie wurde mein Kamin derart gründlich durchgefegt“ werde ich schreiben, wenn der auch noch auf die Idee kommt, bewertet werden zu wollen. „Ich freue mich schon auf nächstes Jahr, ich kann es kaum erwarten!“
Aber es sind ja nicht nur Unternehmen und Dienstleister, die bewertet werden wollen. Selbst Privatpersonen wie Sie und ich stellen sich aus wie Waren und betteln um Bewertung. Die akzeptieren sie allerdings nur, wenn sie positiv ausfällt. Andernfalls ist sie toxisch.
Also, seien Sie nicht ehrlich, seien Sie lieb. Immer! Sie wollen sich ja nicht als Hater entlarven. So heißen ehrliche Menschen in der Bewertungs-Branche.
Um nicht unbeabsichtigt toxisch zu sein, wäre es naheliegend, sicherheitshalber gar keine Bewertung abzugeben. Das ist aber auch kontraproduktiv, Sie könnten damit, ohne es zu merken, eine Existenz zerstören.
Wissen Sie, wie hart Menschen dafür arbeiten müssen, bewertet zu werden? Haben Sie schon einmal einen Influencer bei der Arbeit beobachtet? Ich empfehle das unbedingt, Sie werden sich anschließend nie wieder despektierlich über diese Berufsgruppe äußern.
Letztens am Gardasee. Herr Flanell und ich sitzen auf der Sonnenterrasse mit Blick auf den Steg. Ebendort ist eine junge Dame bei der Arbeit. Es hat gezählte 57 Anläufe bzw. drei Aperol Spritz gedauert, bis sie endlich den einen perfekten, wie zufällig aussehenden Schnappschuss folgender, am Ende doch recht banal wirkender Szene im Kasten hatte: Mädchen in Sommerkleid sitzt auf Steg, Sandalen baumeln über blauem Wasser, langes Haar weht sanft im Wind. Sogar Touristen hat die Gute eingespannt, um ihr bei der Arbeit zu helfen.
Ob dieses Foto von der Bekleidungsmarke, dem Schuhfabrikanten oder Drei Wetter Taft gesponsert wurde, kann ich Ihnen leider nicht beantworten. Für ihren unermüdlichen Einsatz hat die Dame jedenfalls ausschließlich Top-Bewertungen verdient.
Andere Szene. Athen, Akropolis. Ich lausche gebannt und hauptsächlich mit den Augen einem sehr attraktiven, schon etwas in die Jahre gekommenen Fremdenführer. Noch mehr als für griechische Antike und antike Griechen kann ich mich jedoch für streitende Paare begeistern.
Ein solches betritt soeben die Bühne. Sie posiert gekonnt vor einer Steinsäule, er fotografiert. Scheinbar weniger gekonnt. Mit keinem Foto ist die Dame zufrieden, unentwegt schimpft sie auf ihren Begleiter ein. Nur für die Fotos unterbricht sie ihre Schimpftiraden für einige Millisekunden.
Noch nie habe ich einen Menschen derart blitzschnell zwischen Wut und Freude wechseln sehen, ich bin beeindruckt. Andernorts gäbe es dafür einen Oscar. Dieses Schauspiel wird aber nicht mit einer Goldstatue bewertet werden, sondern bloß mit Likes und Kommentaren. Direkt schade finde ich das.
In diesem Sinne: Bitte bewerten Sie mich nicht! Verleihen Sie mir doch lieber einen Oscar.