Eine kleine Firma, aber sehr große, namhafte Kunden. Moderne Website, spannende Projekte – der erste Eindruck könnte nicht besser sein.
Das Vorstellungsgespräch findet online statt, die Gesprächspartner sind sehr sympathisch und der Job klingt super. Eine Stunde danach bekomme ich bereits eine Zusage. Wenn’s passt, dann passt’s, denke ich. So ein Bewerbungsprozess muss ja nicht immer ewig dauern.
Die Vertragsunterzeichnung findet ein paar Tage später vor Ort statt. Oder auch nicht …
Ich stehe im Stiegenhaus eines Gründerzeit-Zinshauses. Ein Türschild gibt es nicht. Ich läute an. Die Tür geht auf, ich betrete den Vorraum einer WG. Jacken, Rucksäcke und Schuhe liegen kreuz und quer verstreut auf dem Fußboden.
Ich will mich gerade entschuldigen, weil ich mich offensichtlich in der Tür geirrt habe, da taucht der Mann auf, der mich vor ein paar Tagen eingestellt hat. Okay, das hier IST das Büro.
Man bietet mir Gästeschlapfen an. Ich bestehe darauf, meine Schuhe anzubehalten. Haben Sie schon einmal einen Geschäftspartner gebeten, zur Vertragsunterzeichnung die Schuhe auszuziehen? In Österreich meine ich, nicht in Japan.
Neben dem Vorraum gibt es noch zwei Zimmer mit billigen Büromöbeln und eine unordentliche Küche. Das WC ist draußen, am Gang. Ach ja, das Zimmer des Chefs gibt es auch noch – der größte Raum der Wohnung (ich weigere mich, das als Büro zu bezeichnen) und als einziger mit hochwertigen Möbeln eingerichtet.
Außer mir sind noch fünf andere Leute gekommen, die ebenfalls gerade eingestellt wurden. Das ist mir neu. Den anderen ebenso.
Der Firmeninhaber und einige der zukünftigen Kollegen sind auch da. Wir stellen uns vor und erzählen alle ein bisschen über unser Leben, den letzten Urlaub und die Haustiere. Alles totaaal chillig, alle sind gute Freunde, nein, mehr noch, eine große Familie … Sie wissen schon.

Falls Sie sich jetzt denken, so ist das eben in einem Start-up: das Unternehmen wurde vor 30 Jahren gegründet.
Es gibt nicht genug Sitzmöglichkeiten für alle, manche sitzen auf dem Boden. Dabei ist ein Teil der Belegschaft heute gar nicht anwesend. Trotzdem sollen mindestens einmal in der Woche, lieber öfter, alle Mitarbeiter gleichzeitig ins Büro kommen.
Wo wir dann sitzen sollen, frage ich. „Keine Ahnung, kommt einfach alle am Monatsersten ins Büro und sucht euch irgendwo einen Platz!“
Habe ich schon wieder einen Trend verpasst? Ist Floorsharing jetzt das neue Desksharing?
Der Reihe nach werden wir Neuen ins Nebenzimmer zur Vertragsunterzeichnung gerufen. Ich lehne dankend ab. Ich bin im wahrsten Sinne des Wortes zu alt für den Scheiß. Denke ich, sage ich aber nicht.
Zum Glück habe ich meine Schuhe anbehalten! Stellen Sie sich vor, Sie möchten einen schnellen Abgang machen und stehen in Socken da.
Das genaue Gegenteil erleben wir nächsten Sonntag. Da wird es richtig nobel, üben Sie schon einmal den Hofknicks!
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Bild: Disney