Die Herrschaftlichen

Schon auf dem Parkplatz schäme ich mich. Unter all den Mercedes, BMWs und Range Rovers wirkt mein alter Kleinwagen wie eine Rostlaube. Ich betrete die Eingangshalle des stylishen Gebäudes und werde direkt von einer überdimensionalen Weltkugel gestoppt. Am Nordpol stehen Statuen der Unternehmensgründer. Wobei, ich schätze, im Briefing für den Auftragskünstler stand nicht Nordpol, sondern „On Top of the World“.

Mit einer halben Stunde Verspätung trudelt meine Gesprächspartnerin ein, die Tochter der Unternehmensgründer. Da es eine Selbstverständlichkeit ist, auf Madame zu warten, erhalte ich keine Entschuldigung für die Verspätung.

Wir nehmen in ihrem Büro Platz, außer uns noch zwei Mitarbeiter. Ich habe keine Zeit, mich vorzustellen, denn es wird mir sofort erklärt, was mein Job hier sein wird. Ob ich mir das vorstellen kann? Immerhin werde ich gefragt! Aber, nein, das kann ich mir nicht vorstellen. Das hat nämlich mit der ausgeschriebenen Stelle gar nichts zu tun.

Ich werde aus dem Büro geschickt, man muss sich beraten.

Also nehme ich auf dem Besuchersessel Platz und warte. Im Büro Festsaal nebenan residiert die Firmengründerin. Die Tür steht offen. Aufgrund ihres lauten Organs werde ich ungewollt Zeugin eines sehr unschönen Vortrags über Menschen niederer Herkunft. Also all jene unter uns, die nicht in eine wohlhabende Familie geboren wurden und ihr Geld mit Lohnarbeit verdienen müssen. Ich zum Beispiel.

Herzkönigin

Ich bekomme eine Gänsehaut und überlege gerade, einfach grußlos zu gehen, da werde ich von Ihrer Hochwohlgeboren entdeckt, bin aber nicht würdig, in einem kurzen Satz zu erklären, warum ich vor ihrer Tür herumlungere und lausche.

Eine Sekunde, bevor ich die Flucht ergreife, werde ich ins Büro der Tochter zurückgeholt. Man erklärt mir nun einen völlig anderen Job, der diesmal immerhin in Grundzügen der Ausschreibung ähnelt. Ob ich mir den jetzt vorstellen kann?

Naja, den Job eventuell, aber für diese grundsympathische Familie zu arbeiten ganz sicher nicht. Dazu fehlt mir die nötige Portion Unterwürfigkeit. Denke ich. Sagen tue ich: „Ich überlege es mir.“ Man gibt mir ein Wochenende lang Bedenkzeit, am Montag erwartet man meine Entscheidung.

Es ist Montag, ich melde mich nicht. Ich bin gespannt, ob man sich herablässt. Man lässt! Nicht persönlich, versteht sich. Eine Dienerin Assistentin ruft mich an:

„Die Gräfin lässt fragen, ob Sie den Job nun machen oder nicht?“

Ich beiße mir fast die Zunge ab, um ein „Gräfin gibt’s seit 1919 keine mehr“ zu unterdrücken. Stattdessen antworte ich: „Danke, aber nein danke!“


Liebe Leserin, lieber Leser,

das war er also, der Höhepunkt meiner Karriere als Bewerberin. Ich hoffe, meine Odyssee hat – wenn schon nicht zu einem langfristigen Dienstverhältnis – so zumindest zu Ihrer Unterhaltung beigetragen.

Ich möchte Sie nicht auch noch mit Wiederholungen langweilen. Es reicht ja, wenn ich selbst bei den ewig gleichen Fragen und Antworten in Vorstellungsgesprächen sämtliche Willenskraft aufbringen muss, um mir nicht spontan eine neue Persönlichkeit zuzulegen. Nur so, zur Abwechslung. Sie wissen ja, wie das bei mir ist mit Routine und Langweile.

Von lächerlichen Prüfungen über vermeidbare Zeitverschwendung, Irrungen und Wirrungen, den boshaftesten Dienstvertrag, der mir je untergekommen ist, bis zu enttäuschenden Kurzzeitaufenthalten und Situationen, in denen ich versucht war, mich nach der versteckten Kamera umzusehen, war alles dabei. Was sollte uns jetzt noch überraschen, Sie und mich?

Wie es heißt es doch: Man soll aufhören, wenn es am schönsten ist. In diesem Sinne, herzlichen Dank für Ihr Interesse und Durchhaltevermögen!

Sollten Sie sich selbst demnächst um einen Job bewerben, wünsche ich Ihnen aufrichtig VIEL VERGNÜGEN! Und machen Sie sich schick, man weiß ja nie, ob nicht doch irgendwo eine versteckte Kamera lauert.

Ihre Coco Flanell

Bilder: Disney