Plan P

Die Berufswelt – unendliche Weiten. Wir schreiben das Jahr 2025. Dies sind die Abenteuer von Coco Flanell, die mit ihren 45 Jahren eine dreijährige Ausbildung antritt, um neuen Lernstoff zu erforschen, neue Arbeitswelten und neue Kollegen. Viele Lichtjahre von ihrem alten Beruf entfernt, dringt Coco in Galaxien vor, die nie ein Flanell zuvor gesehen hat.

Meine Damen und Herren, Mesdames et Messieurs, Ladies and Gentlemen! Treten Sie näher, treten Sie heran! Eben erst in unserem Zirkus eingetroffen: Coco Flanell, ein Klischee auf zwei Beinen.

Ich mache jetzt etwas mit Sinn!

Plan A ist Geschichte, wie ich vor Kurzem berichtet habe. Plan A war der Beruf, den ich die letzten 26 Jahre ausgeübt habe. Jetzt tue ich das aus vielen Gründen nicht mehr.

Nun tritt Plan B in Kraft. Der gärt in mir schon seit Jahren, war aber bislang aus finanziellen Gründen nicht realisierbar, weil dafür ein Studium notwendig ist, das nicht berufsbegleitend angeboten wird.

Pech gehabt, Frau Flanell! Zu alt für ein Selbsterhalterstipendium, zu arm für Selbsterhalt ohne Stipendium. Damit war Plan B eigentlich auch bereits Geschichte und ich suchte verzweifelt einen Plan C.

Durch eine glückliche Fügung kann ich Plan B nun doch noch in die Tat umsetzen. Die glückliche Fügung hat einen Namen:

Pflegestipendium

Da der Pflege bekanntlich rasant die Arbeitskräfte ausgehen, hat man sich vor nicht allzu langer Zeit dazu entschlossen, nun auch Spät(er)berufenen das dreijährige Studium zum Diplomierten Gesundheits- und Krankenpfleger (DGKP) durch eine Förderung zu ermöglichen. Die Ausbildung an Gesundheits- und Krankenpflegeschulen gibt es nicht mehr, mittlerweile bilden nur noch Fachhochschulen zum DGKP aus.

So paradox es klingt, der Pflegenotstand ist mein Silberstreif am Horizont.

Der hohe Praktikumsanteil des Studiums, immerhin ca. 50 Prozent, unbezahlt, macht es unmöglich, während der gesamten Ausbildung dauerhaft einem Job nachzugehen, der zur Deckung des Lebensunterhalts einer erwachsenen Person ohne Erbschaft und Sponsor, aber mit eigenem Haushalt ausreicht.

Herr Flanell ist mir diesbezüglich auch keine Hilfe. Er ist nicht so der Typ Sugardaddy. Sehr frei nach Karl Valentin: Mögen tät‘ er schon wollen, aber können kann er nicht.

Um DGKP zu werden, hätte ich ihn bislang also verlassen und eine der folgenden Optionen wählen müssen:
A) in mein altes Kinderzimmer im elterlichen Heim übersiedeln oder
B) reich heiraten.

Option A scheiterte an meinem Stolz. Option B an der mangelnden Bereitschaft reicher Männer, sich eine mittelalte Frau als Trophy Wife zuzulegen, was ganz klar unter Altersdiskriminierung fällt und weshalb ich mich gezwungen sah, Beschwerde bei der Gleichbehandlungsanwaltschaft einzulegen.

Das Pflegestipendium ist eine Beihilfe zur Deckung des Lebensunterhalts, kranken-, unfall- und pensionsversichert ist man während der dreijährigen Ausbildung ebenfalls. Das geht sich für mich aus, wenn ich sämtliche nicht unbedingt notwendigen Ausgaben streiche.

Et voilà, da bin ich! Finanziell wird das definitiv kein Spaß, aber das ist es mir wert.

An der Definition nicht unbedingt notwendiger Ausgaben muss ich zugegebenermaßen noch arbeiten. Setze ich nun das Bücherregal oder mich auf Diät?

Sparpotential bietet auf jeden Fall der Kleiderschrank, da Pfleger Dienstkleidung tragen. Das Gute daran ist: Ich muss für sehr lange Zeit keine Schuhe mehr kaufen, ich werde hauptsächlich Schlapfen tragen. Das Schlechte daran ist: Ich muss für sehr lange Zeit keine Schuhe mehr kaufen, ich werde hauptsächlich Schlapfen tragen.

Ausgerechnet Pflege?

Keine Angst, ich erzähle Ihnen jetzt nichts von Berufung oder so. Ich fühle mich zu gar nichts berufen. Was ich in der Pflege sehe, ist vor allem das: einen sehr interessanten, sehr abwechslungsreichen und sehr fordernden Beruf. Und ja, Sinn.

Außerdem einen enormen Bedarf an Arbeitskräften, damit einhergehend die Sicherheit, bis zum Ende meines Berufslebens sinnvoll beschäftigt zu sein und nicht auf einem Phantasie-Posten mit Phantasie-Aufgaben mein Ausgedinge zu finden oder – noch schlimmer – ans AMS outgesourced zu werden. In meinem ehemaligen Beruf zwei durchaus übliche Optionen. Die Entscheidung für diesen Schritt habe ich also nicht nur mit viel Herz, sondern auch mit viel Hirn getroffen.

Dass man am Ende einer Schicht nicht nach Hause kommt und sich denkt, na der Tag war wieder für die Fisch’ heut’, sehe ich als Bonus. Und gleichzeitig als meine größte Herausforderung. Hier geht es nicht um Zahlen oder Produkte, hier geht es um Menschen und reale Verantwortung. Ich befürchte, dieses Bewusstsein ist für viele Pfleger das Einfallstor für Selbstausbeutung und für viele Träger von Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen gefundenes Fressen.

Ja, ich möchte wirklich ausgerechnet in den Pflegebereich wechseln, aus dem so viele wegen der Arbeitsbedingungen aussteigen möchten. Und nein, ich habe noch keine Erfahrung mit wechselnden Schichtdiensten und wenig Ahnung vom Heben schwerer Patienten. Von überlangen Arbeitstagen und körperlich anstrengender Arbeit hingegen durchaus.

Selbstverständlich kann ich mir die Herausforderungen und Probleme, mit denen sich Pflegekräfte tagtäglich konfrontiert sehen, nicht einmal ansatzweise vorstellen. Woher auch? Ich hätte meinen alten Beruf aber auch nicht gewählt, wenn ich von Anfang an gewusst hätte, was da so alles auf mich zukommt. Trotzdem habe ich ihn 26 Jahre lang ausgeübt.

Dass Pfleger ein Beruf ist, den man unter vielen Umständen nicht ein ganzes Berufsleben lang durchsteht, glaube ich sofort. Bei mir sind es „nur noch“ 20 Jahre, das sehe ich durchaus als Vorteil.

Und dass meine inneren Antreiber nicht „möglichst viel Geld“ und/oder „möglichst wenig Arbeit“ sind, schadet bestimmt ebenfalls nicht.

Nachdem ich in der ersten Hälfte meines Berufslebens weder mit entspannten Arbeitsbedingungen noch mit Geld verwöhnt wurde, starte ich ohnehin von ziemlich niedriger Fallhöhe in die zweite Halbzeit.

Ich versuche, meinen neuen Weg so unvoreingenommen wie nur möglich einzuschlagen.

Vielleicht ist so eine radikale Veränderung in der Mitte der Berufslaufbahn gar nicht schlecht. Nicht, weil damit alles besser wird, sondern anders.

Als würde man eine neue Kerze anzünden, nachdem die letzte heruntergebrannt ist. Die letzten Jahre habe ich sozusagen Wachsreste zusammengekratzt und am Dochtstummel herumgefummelt, um ihn wieder und wieder zum Brennen zu bringen, was mir mehr schlecht als recht gelungen ist. Vor mir liegt nun ein Meer an jungfräulichen Herausforderungen, hinter mir ein Ozean aus „Ned scho wieda!“, „Euer Ernst jetzt?“ und „Wollts ihr mich frotzln?“.

Ich darf mit 45 Jahren noch einmal naiv, unvoreingenommen und unverdorben sein wie ein Kind. Ein Privileg, dessen ich mir durchaus bewusst und für das ich unendlich dankbar bin.

Eines kann ich jedenfalls jetzt schon sagen: Ich habe seit sehr langer Zeit zum ersten Mal wieder das Gefühl, mich vorwärts zu bewegen anstatt auf der Stelle zu treten. Und das ist ein großartiges Gefühl!

Aus Coco Flanell wird Schwester Coco

Wenn Sie Lust haben, nehme ich Sie gerne mit auf meine Reise. Missgeschicke, Katastrophen und brillante Weisheiten aus meinem Arbeitsleben 2.0 lesen Sie demnächst hier.

Coco Flanell wird Krankenpflegerin
Schwester Coco

Drücken Sie mir die Daumen, dass mein Plan B aufgeht! Und halten Sie beim Zeitunglesen die Augen offen. Sollten Sie über die Schlagzeile „Pflegeschülerin erwürgt Übungspuppe mit Wundverband“ stolpern, wissen Sie, dass Sie an Ihrer Daumendrück-Technik noch arbeiten sollten.

PS: An die reichen Männer, die mich nicht heiraten wollten, als ich zwecks Umschulung dringend ihr Geld benötigt hätte: Ich sehe verdammt scharf aus in Krankenschwestern-Uniform! Auf meine Pflegekünste darf sich nun der mittellose, aber (deshalb) nicht altersdiskriminierende Herr Flanell freuen.

PPS: Ja, ich weiß, dass es nicht mehr „Schwester“ heißt. Ich habe die Sache durchgespielt, „Pflegeperson Coco“ klingt nach einem seelenlosen Roboter und „Diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegerin Coco“ ist halt schon arg patschert zu lesen und schreiben. Man möge mir die vermeintliche Verunglimpfung verzeihen, ich mein’s nicht despektierlich.

Was bisher geschah: