Haben Sie schon einmal in einem österreichischen Konzern gearbeitet? Nein? Da haben Sie aber etwas verpasst! Kommen Sie doch einmal vorbei, ich führe Sie gerne ein bisschen herum.
Guten Tag und herzlich willkommen! Bitte geben Sie Ihren Verstand an der Garderobe ab, er wird dort sicher für Sie verwahrt, damit ihm nichts zustößt. Fahrstuhl Nr. 7 steht in Kürze für Sie bereit. Ab hier sind wir WIR – eine große, glückliche Familie.
Schön, dass Sie mich besuchen! Es freut mich, dass Ihnen die begrünte Wand im Foyer aufgefallen ist, die wurde letzte Woche erst installiert. Es handelt sich dabei um ein Herzensprojekt unseres neuen CEOs. Er ist sehr naturverbunden, müssen Sie wissen. Der letzte Vorstand hatte für Natur leider gar nichts übrig, viel zu teuer.
Das ist nämlich so bei uns: Je nachdem, welche Fachrichtung der amtierende CEO im BWL-Studium eingeschlagen hat, wird in großem Stil innoviert, expandiert und kommuniziert oder an allen Ecken und Enden gespart. Alle paar Jahre drücken sich Mister Big Spender und Magister Erbsenzähler die Klinke in die Hand und ändern schlagartig den Unternehmenskurs.
Wenn der Vorstandsvertrag dann ausgelaufen ist, haben die Herren durch ihr fürstliches, aber selbstverständlich angemessenes Salär und die wohlverdienten, ergebnisunabhängigen Boni ausgesorgt. Völlig zurecht natürlich, die Verantwortung und das Risiko, das diese Personen Tag für Tag auf sich zu nehmen bereit sind, kann sich ein Angestellter gar nicht vorstellen! Sollte da einmal ein unangenehmer Fehler passieren, steht man vor dem persönlichen Ruin wird man sofort großzügig weggelobt.
Das Erste, das Sie hier als Mitarbeiter lernen, ist Haken zu schlagen wie ein Feldhase. Aktuell herrscht wieder Hochstimmung, der neue CEO kommt aus dem Marketing. Mir persönlich sind die lieber als die Zahlenfetischisten, sie bringen immer so viel Schwung in die Bude. Und schönere Anzüge tragen sie auch.
Bitte begleiten Sie mich doch zu meinem Arbeitsplatz. Passen Sie aber auf, dass Sie nicht über die losen Teppichfliesen stolpern! Ich habe den Antrag auf Schadensbehebung erst vor acht Wochen gestellt, er befindet sich also noch im Unterschriftenlauf.
Die Reparaturgenehmigung, mit der ich den Antrag auf eine Begutachtung durch das Facility Management stellen kann, der bei positiver Entscheidung in eine Terminisierung der Ausführung übergeleitet wird, wurde mir noch nicht zugestellt.
Ach wissen Sie was, ich picke das schnell selbst mit UHU fest, damit Sie sich nicht verletzen.

Schauen Sie, das ist mein Kalender, mein ganzer Stolz. Ein Blick darauf lässt vermuten, ich würde den Laden hier leiten, nicht wahr? Dabei bin ich nur eine einfache Angestellte.
Meine Arbeitstage beginnen mit einem Stand-up. Klar, denken Sie sich jetzt, so wie bei jedem anderen Berufstätigen auch. Wir stehen hier aber nicht einfach nur aus dem Bett auf und begeben uns an der Arbeitsplatz. Nein! Sobald wir dort angekommen sind, standen wir nämlich gleich nochmal up.
Bei diesen kurzen, täglichen Meetings erzählen wir reihum, woran wir gestern gearbeitet haben, woran wir heute arbeiten werden und wo der Schuh drückt. Stellen Sie sich das gerne vor wie eine Art Therapiesitzung. Wobei, Sitzung ist das falsche Wort, wir stehen dabei nämlich. Deshalb heißt es ja Stand-up. Der Mangel an Komfort soll die Besprechungsdauer möglichst kurz halten. Das funktioniert mal besser, mal schlechter.
Nachdem sich von einem Tag auf den anderen zumeist nichts Weltbewegendes getan hat, sind die Stand-ups oft ziemlich langweilig – die Ähnlichkeit mit Stand-up-Comedy beschränkt sich leider auf den Namen.
Das ist uns aber egal, Hauptsache wir betreiben Scrum. Klassisches Projektmanagement war gestern, wir sind jetzt agil! Was in der Softwareentwicklung funktioniert und so geil klingt, kann doch auch bei uns nicht schaden, wir ziehen die Sache also beinhart durch.
Gehören Sie wie ich zu den Mitarbeitern, die gleichzeitig in mehrere Projekte involviert sind, haben Sie jeden Tag einige solcher Stand-ups. Meine zwölf wöchentlichen Jours fixes könnten direkt eifersüchtig werden auf die neue Konkurrenz.
Während die Stand-ups die Quickies unter den Besprechungen sind, gleichen manche Jours fixes einem Tantra-Ritual. Am Ende bin ich oft furchtbar erregt, aber selten befriedigt. Aufgrund der schier endlosen Dauer sind bequeme Stellungen unumgänglich. Ach, überzeugen Sie sich doch einfach selbst, in dreißig Minuten geht´s los. Bringen Sie gerne Massageöl mit, falls Sie zufällig welches dabei haben.
Um innovativeren Output zu generieren, veranstalten wir unsere Jours fixes nicht mehr in einem Besprechungsraum, sondern in einer der hypermodernen Begegnungszonen, deren Wandfarben, Möbel und Ausstattung an einen Kindergarten erinnern und die so klingende Namen tragen wie „Flussufer“, „Obstgarten“ oder „Blumenwiese“.
Es gibt Malstifte, Post-its in 23 Farben, Lego-Bausteine und Playmobil-Figuren für kreatives Problemlösen – pardon, Design Thinking. Und Energydrinks, falls jemand einen Durchhänger hat. Zuckerfrei, versteht sich.

Weil wir nicht nur extrem agil sind und die inspirierendsten Begegnungszonen von hier bis Uppsala haben, sondern in jeder Hinsicht am Puls der Zeit sind, veranstalten wir natürlich auch Town Hall Meetings. Alle drei Monate gibt es dann Bullshit-Bingo für die gesamte Belegschaft. Zweimal habe ich schon gewonnen. Wir lieben es – schade, dass Sie das verpassen!
Mein Versuch, die unzähligen Meetings auf jene zu reduzieren, in denen meine Anwesenheit für irgendjemanden irgendeinen Sinn macht, und in der dadurch gewonnenen Zeit produktiv zu arbeiten, wurde mir als Arbeitsverweigerung ausgelegt.
Daraufhin habe ich meinen diesbezüglichen Vorschlag aus dem „Innovation Generator“ zurückgezogen. „Betriebliches Vorschlagswesen“ dürfen wir nicht mehr sagen, wir sind ja kein Amt.

Einen Moment bitte, meine Telefone läuten. Richtig gehört, Mehrzahl. Obwohl wir alle ein Firmenhandy haben, wurden die Festnetzapparate nie abgebaut. Stattdessen werden die Anrufe an die Firmenhandys weitergeleitet. Nun klingeln Telefon und Handy im Duett.
Um im Großraumbüro nicht verrückt zu werden, haben wir unsere Klingeltöne aufeinander abgestimmt. Wir haben uns für Boléro entschieden, jeder Kollege in einer anderen Tonart. Bei Hochbetrieb ergibt das ein wundervolles Crescendo, wir lassen es dann einfach läuten, lehnen uns zurück und genießen das Konzert. Ravel wäre begeistert. Auf Etage 17 sind wir Stars.
Weil die beiden Telefone und der E-Mail-Account nicht reichen, um auch wirklich ohne die geringste Unterbrechung erreichbar zu sein, kommunizieren wir zusätzlich noch über diverse Chat-Kanäle mit Status-Anzeige. Da die Arbeit, die wir hier täglich verrichten, ähnlich zeitkritisch ist wie eine Operation am offenen Herzen, ist das unumgänglich.
Moment, ich bewege kurz meine Maus, meine Status-Anzeige meldet, dass ich „offline“ bin, das macht keinen guten Eindruck. Nur ein Mitarbeiter, der permanent etwas tippt, ist ein guter Mitarbeiter! Wer beim Nachdenken oder auf der Toilette nichts tippt, ist verdächtig. Mitarbeiter, die nicht multitaskingfähig sind, brauchen wir hier nicht.
Einigen Kollegen dauert das alles trotzdem noch zu lange. Oft stehen sie schon mit ihrem Anliegen an meinem Schreibtisch, noch bevor das E-Mail, das sie vor einer Sekunde abgeschickt haben, in meinem Posteingang angekommen ist. Ein Tempo haben die drauf, dagegen sieht Speedy Gonzales alt aus.
Sie haben aber ehrlich gesagt auch gar keine andere Wahl, weil einfach alles, was sie machen, unheimlich wichtig und dringend ist. Ich möchte mir gar nicht vorstellen, was passieren würde, wenn so ein E-Mail einmal nicht beantwortet werden würde.
Wir lieben übrigens Teamwork! Die Grundvoraussetzung dafür ist natürlich, dass stets das gesamte Team über absolut alles informiert ist. Daher senden wir sämtliche E-Mails an mindestens fünfzehn Personen. Im Idealfall fühlt sich nur der zuständige Kollege angesprochen. Im Normalfall reagiert entweder keiner oder alle fünfzehn.
Unter uns gesagt, oft senden wir unsere E-Mails in Kopie auch an diverse Führungskräfte, um Eindruck zu schinden. Damit können wiederum die Führungskräfte Eindruck schinden, wenn sie sich in der Kantine gegenseitig mit der Zahl ihrer täglichen E-Mails übertrumpfen. Können Sie sich noch an das Autoquartett aus der Schulzeit erinnern?
Wann ich in diesem Trubel eigentlich meinen Job erledige, möchten Sie wissen? Hauptsächlich in den Überstunden, gerne abends, wenn es schön ruhig ist, oder auch mal am Wochenende oder im Urlaub. Damit ich mir die Arbeit so frei einteilen kann, hat mich mein Arbeitgeber fürsorglich mit einem All-in-Vertrag ausgestattet. Er hat halt ein Herz für seine Mitarbeiter.
Neulich habe ich gelesen, dass man in gewissen Kreisen von einer Reduktion der wöchentlichen Arbeitszeit phantasiert. Träumer! Die haben offensichtlich noch nie richtig gearbeitet, sonst wüssten sie, dass der Job eines durchschnittlichen Angestellten in Österreich in 40–50 Stunden pro Woche schon kaum zu bewältigen ist.
Zu Beginn der Corona-Pandemie mussten wir von einem Tag auf den anderen ins Homeoffice übersiedeln. Ein Schock war das, das sage ich Ihnen! Trotzdem haben wir uns im Eiltempo auf die neue Situation eingestellt und konnten nahezu ohne Unterbrechung weiterarbeiten wie gewohnt. Wobei, wie gewohnt stimmt nicht ganz, wir waren jetzt nämlich produktiver.
Daheim fiel uns außerdem schnell auf, dass wir gar keine acht Hierarchieebenen benötigen und auch ohne Beaufsichtigung den Laden am Laufen halten und unsere Arbeit erledigen. Das war vielleicht eine Überraschung!
Nach Ende der Pandemie hat der Vorstand also den einzig richtigen Schluss gezogen und einige Hierarchieebenen Homeoffice gestrichen. Es wäre ja auch schade gewesen um das mehrseitige Organigramm.
Man darf natürlich auch den großen Vorteil unserer ausgeklügelten Organisationsstruktur nicht außer Acht lassen: Wo keiner etwas entscheidet, kann keiner eine falsche Entscheidung treffen. Einfacher lassen sich Fehler doch gar nicht vermeiden, oder?
Und sollte wirklich einmal eine Entscheidung nötig sein, muss man ohnehin eine Unternehmensberatung ins Haus holen, da keiner unserer 30.000 Mitarbeiter kompetent genug dafür ist. Zum Glück werden wir für unsere Anwesenheit bezahlt und nicht für unsere Leistung!
Außerdem, wer würde all die Berichte, Protokolle, Anträge, Formulare, Statistiken, Summarys und Briefings lesen, die ich täglich verfasse? Und für wen würde ich jeden meiner Handgriffe detailliert in drei verschiedenen Listen und zwei Programmen dokumentieren? Ohne die acht Hierarchieebenen wäre ungefähr die Hälfte meiner Arbeit ja völlig sinnlos!
Ich bin mir auch ziemlich sicher, dass ich ungefähr einmal im Monat das Unternehmen in die Insolvenz führen würde, wenn nicht jede meiner hochriskanten Tätigkeiten durch mindestens vier Instanzen gehen würde zur Kontrolle und Freigabe. Lückenlos dokumentiert, versteht sich. Aber sagen Sie das bitte nicht weiter!
Sie haben Recht, ich habe Ihnen ja noch gar nicht verraten, was hier eigentlich meine Aufgabe ist! Dokumentiertes Warten, so steht es in meinem Vertrag.
Das ist ein Job für absolute IT-Spezialisten. Unsere Softwarelandschaft ist nämlich wirklich nichts für schwache Nerven. Und sie wächst rasant schnell! Kaum wurde ein Tool von den Lean Managern wegoptimiert, treten die Qualitätsmanager auf den Plan und – zack! – es wachsen Hydra-gleich zwei neue Tools nach. Da wir aber keinem einzigen davon zutrauen, seinen Zweck zu erfüllen, führt jeder Mitarbeiter als Backup auch noch mindestens fünf Excel-Listen. Sicher ist sicher.
Oh, sehen Sie den traurigen jungen Mann da drüben? Das ist ein Kollege, der letztes Jahr zum Teamleiter befördert wurde. Erst hat er sich sehr gefreut darüber, er hat ja hart dafür gearbeitet und sogar einen Lehrgang für Nachwuchsführungskräfte absolviert. In letzter Zeit sehen wir ihn aber immer öfter ganz deprimiert an seinem Schreibtisch sitzen.
Er tut mir leid, ich habe ihn vor Kurzem gefragt, was los ist. Naja, er hat sich das mit der Teamleitung ganz anders vorgestellt. Er darf absolut nichts entscheiden, die Menge an Papierkram, die er abarbeiten muss, hat sich verdoppelt und damit einhergehend auch seine Überstunden. Seine Chefin ist mit den Zahlen unzufrieden und seinen Mitarbeitern kann er auch nichts recht machen, egal wie sehr er sich auch bemüht.
Zu allem Übel hat er bei der letzten Managementklausur mitbekommen, dass er den Abteilungsleiterposten nie bekommen wird. Dabei hat er echt was drauf, kennt das Unternehmen und wirft sich richtig ins Zeug. Der Neffe des Bereichsleiters braucht aber demnächst einen Job. Mit dieser Qualifikation kann er natürlich nicht mithalten. Naja, immerhin verdient er jetzt 300 Euro brutto mehr im Monat, dafür lohnt sich das alles natürlich trotzdem.
Ob wir nicht Verstärkung brauchen können in der Abteilung? Na hören Sie mal, wie stellen Sie sich das vor? Fünf Jahre Studium – egal welches Fach –, unzählige Fortbildungen und mindestens zehn Jahre einschlägige Berufserfahrung wären einmal die Mindestvoraussetzungen für diese hochwissenschaftliche Arbeit. Ausgewiesene Expertise in Fliegenfischen und flämischer Malerei sollten Sie ebenfalls mitbringen, sonst wird das hier nichts. Und sind Sie überhaupt teamfähig, hands-on und kommunikationsstark? Zu guter Letzt die Gretchenfrage für den Fall, dass Sie hier etwas werden möchten: Nun sagen Sie, wie haben Sie´s mit der Religion Partei?
Naja, ich kann ja mal ein gutes Wort für Sie einlegen bei meinem Chef. Ich sehe ihn später ohnehin noch. Heute ist nämlich mein jährlicher Lieblingsarbeitstag, ich habe mein Mitarbeitergespräch. Mein Chef wurde für diese Gespräche extra in eine mehrtägige Schulung geschickt. Dort hat er Lesen gelernt. Nun zückt er also Jahr für Jahr seinen Leitfaden und geht ihn mit seinen Mitarbeitern durch. Wort für Wort, streng nach Protokoll.
Individuelle, auf den jeweiligen Mitarbeiter und Job abgestimmte Gespräche und Zielvereinbarungen sind nicht erwünscht. Die wären nämlich nicht vergleichbar, könnten nicht standardisiert erfasst werden und wären somit vollkommen wertlos für das Unternehmen.
Die Gesprächsnotizen aus dem Vorjahr hat mein Chef auch stets ausgedruckt dabei. Am Ende des Mitarbeitergesprächs einigt man sich üblicherweise darauf, das Formular aus dem Vorjahr erneut abzugeben, es zahlt sich ja gar nicht aus, die diesjährigen Ergebnisse extra aufzuschreiben, das liest doch ohnehin nie wieder jemand.
Ich arbeite nämlich in einer sehr effizienten Abteilung, müssen Sie wissen. Unseren auf zwei Kommastellen genau festgelegten prozentualen Beitrag zum Unternehmensziel werden wir dennoch auch heuer wieder ganz knapp nicht erreichen. Deshalb geht unser Bonus an die Aktionäre. Als Ansporn, damit wir uns im nächsten Geschäftsjahr noch mehr ins Zeug legen.
Apropos ins Zeug legen, nun muss ich aber wirklich zurück an die Arbeit.
Danke für Ihren Besuch, ich hoffe, es hat Ihnen gefallen bei uns! Und vergessen Sie nicht, Ihren Verstand wieder von der Garderobe abzuholen!
*Eigentlich: „Das Haus, das Verrückte macht“ aus „Asterix erobert Rom“, (c) Albert Uderzo